„Reichstorf goes International“
- Patrick Loibl
- 21. März 2019
- 4 Min. Lesezeit

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Patrick Loibl, Matrikelnummer: 87883, WS18/19 WÜ Crossmediale Darstellungsformen
Ein Feature von Patrick Loibl im Rahmen der wissenschaftlichen Übung „Crossmediale
Darstellungsformen“
Deutschland, Kroatien, Rumänien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Albanien, Serbien, Syrien und sogar Nigeria. All diese Nationen sind in einer Fußballmannschaft in Niederbayern vereint. Der Traditionsverein FC Reichstorf stand vor einigen Jahren kurz davor, nur noch eine Mannschaft stellen zu können. Jetzt ist der Club dank Neuverpflichtungen von Spielern aus aller Welt so erfolgreich wie schon lange nicht mehr und blickt in eine rosige Zukunft. Die Geschichte wie Reichstorf international wurde.
1. Halbzeit
Dunkle schwarze Wolken hängen am Himmel, ein eiskalter Wind zieht orkanartig über das Feld und 22 Spieler rennen einem Ball hinterher. Eigentlich ein ganz normaler Testspielsamstag im Frühling in der niederbayerischen Provinz. Erwartet man doch, dass sich Meier, Huber und Schmidt auf die Rückrunde ihres Dorfvereins vorbereiten. Nicht so beim FC Reichstorf. Hier holen sich Lovric, Krizanic und Adeboyejo in ihren lila Trikots den Feinschliff nach einem harten Trainingslager. Insgesamt neun verschiedene Nationen aus aller Welt – von Bosnien und Herzegowina über Kroatien nach Nigeria – sind in der Mannschaft des FC Reichstorf vertreten. Doch das war nicht immer der Fall. Wie das Wetter beim Testspiel sah die Zukunft des 1932 gegründeten Traditionsvereins vor einigen Jahren düster und vor allem sehr kurz aus. Sportlich am Tabellenende liegend und ohne Jugendmannschaften drohte dem Verein sogar die Auflösung der Reservemannschaft. Man stand vor einer schweren und richtungsweisenden Entscheidung. „Wären wir damals den Schritt nicht gegangen, kann man nicht sagen, ob es den Verein heute noch gäbe“, erzählt Andreas Haunfellner, seit drei Jahren Vorstand des Vereins, mit ernster Stimme. Mit diesem Schritt meint Haunfellner die Entscheidung, die Mannschaft im Sommer 2016 radikal zu verändern. Man holte den Bosnier Almedin Ljutic als Trainer, der seine Kontakte nutzte und viele alte Bekannte mit nach Reichstorf nahm. Diese kannten sich schon von früher, kickten gemeinsam auf dem Bolzplatz und wollten endlich gemeinsam in einer Mannschaft spielen. Ljutic spielte schon 2013 für den Verein, ließ sich vom Konzept des Vorstandes überzeugen und kehrte als Trainer zurück. „Wir wurden von der Mannschaft super aufgenommen, das ist einmalig“, beschreibt der Trainer die ersten Trainingseinheiten mit einem Grinsen im Gesicht. Er wirkt sehr glücklich bei dem Gedanken an die Anfänge dieser ungewöhnlichen Reise. Auch innerhalb der Gesellschaft des 160-Einwohner-Dorfs Reichstorf sind die Fußballer sofort bestens integriert. Jeder Spieler – egal wo er herkommt – werde hier akzeptiert und aufgenommen, berichten die Neuzugänge stolz. „Du fühlst dich einfach wie zu Hause“, findet Nurudeen Adeboyejo, gebürtiger Nigerianer. Auch er kehrte zum FC Reichstorf zurück, nachdem ihm sein ehemaliger Mitspieler Ljutic davon berzeugen konnte, sich dieser Herausforderung zu stellen. Zu dem Kroaten Leon Krizanic, der erst seit vier Jahren in Deutschland lebt, seien die Leute in Reichstorf stets freundlich und es mache ihm einfach nur Spaß hier Fußball spielen zu können. Für ihn war es wichtig, dass er zusammen mit anderen aus Pfarrkirchen nach Reichstorf kam. Sie halfen ihm Deutsch zu lernen und sich an die Kultur anzupassen. Einer davon war sein Landsmann Anto Lovric, der genau wie Krizanic schon 2016 nach Reichstorf wechselte. Dem jetzigen Torwart des FC Reichstorf fiel die Eingewöhnung nicht schwer. „Ich hatte keine Schwierigkeiten bei der Integration, da ich auch in Deutschland aufgewachsen bin.“ So änderte sich das Bild der Mannschaft im Sommer 2016 radikal. Aus einer Truppe bestehend aus Hobby-Kicker aus dem Dorf wurde ein multikulturelles Spitzenteam.
2. Halbzeit
Zur zweiten Hälfte des Testspiels reißt dann auch die Wolkendecke auf. Die ersten Sonnenstrahlen kommen zum Vorschein, der Wind lässt nach und ein strahlend blauer Himmel ist zu sehen. So lassen sich auch die letzten drei Jahre des Vereins beschreiben. Die Angst vor der Auflösung ist längst verschwunden, genügend Spieler sind im Kader und die erste eigene Jugendmannschaft seit über einem Jahrzehnt ging im Juni letzten Jahres wieder an den Start. Dank der Neuzugänge weht nun ein frischer Wind durch die Sportanlage des kleinen niederbayerischen Dorfes. Das Projekt Reichstorf ist ein voller Erfolg. Angefangen mit ein paar Spieler aus Kroatien, Bosnien oder Rumänien verselbstständigte sich die Spielersuche von alleine. Andere Spieler und Freunde aus diesen Ländern wollten auch Teil des Erfolges werden. Dennoch werden aber auch weiterhin einheimische Hobby-Kicker in Reichstorf spielen und den Kern des Teams und des Vereins ausmachen. Die Mischung macht den Unterschied. Trainer Ljutic war selbst davon überrascht wie reibungslos die Mannschaft zusammengefunden hat. Jeder neue Spieler habe sich nach kurzer Zeit auf das Team eingestellt und wurde ohne große Probleme von der Mannschaft aufgenommen und akzeptiert. „Die größte Herausforderung ist es, die verschiedenen Charaktere in den Griff zu bekommen“, merkte Ljutic schmunzelnd an. Als Trainer müsse man eine gewisse Balance zwischen Spaß und Ernsthaftigkeit finden. Neben den Spielern sind für einen Verein die Zuschauer und Fans das wichtigste. „Was wir in den letzten drei Jahren geleistet haben – von den Spielern bis zur Vorstandschaft und den
Zuschauern – ist phänomenal.“, bilanziert der 1. Vorstand Haunfellner stolz. Die Fans stünden in Zeiten des Erfolges, aber auch des Misserfolges hinter ihrer Mannschaft und identifizieren sich auch mit der neuen Kultur des Vereins. Die ausländischen Spieler seien auch Teil des Vereins geworden und prägen auf ihre Art und Weise das Gesicht des FC Reichstorf. Gibt es auf dem Platz Rangeleien oder abwertende Kommentare der Gegner, unterstützen die Fans wie der zwölfte Mann die Mannschaft lautstark. Ein Vorbild für Integration und Globalisierung sei man, so die instimmige Meinung der Anhänger des FC Reichstorf beim Testspiel. Stolz sein können die Reichstorfer auch sportlich. Innerhalb von zwei Jahren kletterte man die Tabelle kontinuierlich nach oben und stieg 2018 als Meister auf. Den größten Triumph feierte man aber in der Halle. Niederbayerischer Futsal-Meister 2018, als krasser Außenseiter. Das neue gallische Fußballdorf wurde ausgerufen. Für die Spieler ein ganz besonderes Ereignis.
Nachspielzeit
Die Gegenwart glänzt mit Titeln, Siegen und Erfolgen. Doch davon wollen sich die Verantwortlichen des FC Reichstorf nicht blenden lassen. „Unser Ziel ist es, die Mannschaft, so wie sie jetzt ist, zu halten und durch den Aufschwung junge einheimische Spieler wieder zum FC Reichstorf zu bekommen“, gibt Vorstand Haunfellner den Weg für die nächsten Jahre vor. Auch sportlich gesehen ist man für diese Saison noch zurückhaltend. Im Vordergrund stehe laut Trainer Ljutic trotz Platz vier zur Winterpause der Klassenerhalt. „Nächstes Jahr wollen wir auf jeden Fall oben mitspielen“, schiebt der Coach kämpferisch nach. Die Spieler sind auch heiß und bereit alles für den Verein und ihre Ziele zu geben. Und gegen einen erneuten Aufstieg habe man nichts einzuwenden, erklärt deboyejo mit breitem Grinsen im Gesicht.